Der Bundesgerichtshof hat sich am 31.01.2017 (X ZB 10/16) mit der Reichweite des Bieterschutzes bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten auseinandergesetzt. Danach haben unterlegene Bieter nunmehr einen Anspruch auf Einhaltung der Pflicht zur Prüfung unangemessen niedriger Angebote. Der BGH hat ferner die Erfordernisse für die Zulässigkeit eines entsprechenden Nachprüfungsantrages deutlich gemindert und zum Zwischenverfahren über die Entscheidung zur Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen umfassend Stellung bezogen.

Zum Fall:

Die Berliner Feuerwehr führte als Vergabestelle eine Ausschreibung durch, die schwerpunktmäßig die Gestellung von Notärzten zum Gegenstand hatte. Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens beantragte ein unterlegener Bieter, das Angebot des Zuschlagsaspiranten sei ungewöhnlich niedrig und deshalb auszuschließen. Der Abstand zum nächstgünstigen Angebot betrug über 30 Prozent. Mangels drittschützender Wirkung des § 16 Abs. 6 S. 1 VOL/A 2009 wies die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag des unterlegenen Bieters ab. Das Beschwerdegericht wollte sich seinerseits dieser Entscheidung anschließen, sah sich jedoch aufgrund einer entgegenstehenden Rechtsprechung des Saarländischen OLG dazu nicht in der Lage. Dieses hatte einem zweitplatzierten Bieter nämlich ein Recht auf Nachprüfung der Zuschlagsentscheidung im Falle eines ungewöhnlich niedrigen Angebots zugestanden. Aufgrund dieser Divergenz war die streitige Sache dem BGH vorzulegen.

Dieser erachtete einen Nachprüfungsantrag insbesondere schon dann als schlüssig, wenn Indizien dargelegt werden, aus denen sich die Unangemessenheit des Preises ergibt. Regelmäßig wird es sich dabei um die beanstandete Preishöhe oder den Abstand zum eigenen bzw. zum nächstgünstigen Angebot handeln. Damit legt der BGH die Hürde für die Zuverlässigkeit eines Nachprüfungsantrages erheblich niedriger als bisher. Bei einer entsprechenden Indizienlage verpflichtet er vielmehr nun den öffentlichen Auftraggeber zur Preisprüfung des streitigen Angebots.

In Anknüpfung daran geht der BGH noch einen Schritt weiter und schreibt auch den Wettbewerbern das Recht zu, sich auf die Einhaltung des § 60 Abs. 3 VgV – bzw. ebenso auf § 16d Abs. 1, § 16d EU Abs. 1 VOB/A, § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 – berufen zu können (bislang bejahte die Rechtsprechung die Antragsbefugnis eines Bieters in solchen Fällen nur dann, wenn das „Dumping-Angebot“ des Bestbieters in der Absicht abgegeben worden war, den Konkurrenten vom Markt zu verdrängen, was offenkundig zu Beweisproblemen führt). Denn das Verbot des Zuschlags auf ein ungewöhnlich niedriges Angebot sei eine Ausprägung des Wettbewerbsgrundsatzes nach § 97 Abs. 1 GWB. Aus diesem Grund hob der BGH den Beschluss der Vergabekammer auf und entschied, dass das Unterlassen einer Preisprüfung durch den Auftraggeber bei Angeboten mit einem Preisabstand von mehr als 20 Prozent zum nächsthöheren Angebot einen Verstoß gegen § 97 Abs. 6 GWB darstellt.

Überdies hat sich der BGH mit der Frage befasst, wie die Geheimhaltungsinteressen des betroffenen Bieters bei der Preisprüfung gewährleistet werden können und entschieden, dass für den Fall, dass die Vergabeakte nebst Geschäftsgeheimnissen des betroffenen Bieters dem Antragsteller im Rahmen der Akteneinsicht überlassen wird, in einem Zwischenverfahren über ihre Offenlegung entschieden werden soll. Diesbezüglich hat das Gericht den Ablauf in seiner Entscheidung umfassend dargelegt.

Damit durchbricht der BGH die bisherige gefestigte Vergaberechtsprechung, wonach sich die Bieter nur dann auf einen Drittschutz berufen konnten, wenn das ungewöhnlich niedrige Angebot die zielgerichtete Verdrängung anderer Bieter bezweckte. Nunmehr haben es die Bieter in der Hand, die Vergabestellen zur Prüfung von ungewöhnlich niedrigen Angeboten zu bewegen, wobei die Schwelle für die Darlegung einer Rechtsverletzung erreichbar sein soll, insbesondere bei fehlendem Einblick in den Bereich fremder Unternehmen.

Für nähere Informationen und rechtliche Beratung steht Ihnen Rechtsanwältin Dr. Angela Dageförde (Tel. 0511 590975-60) gern zur Verfügung.

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