Eine aktuelle Entscheidung der Vergabekammer Lüneburg vom 13.03.2017 (VgK-02/2017) zeigt, dass öffentliche Auftraggeber ein Vergabeverfahren auch dann aufheben können, wenn keiner der in den vergaberechtlichen Regelwerken ausdrücklich normierten Aufhebungsgründe vorliegt. Ein solcher „anerkennenswerter sachlicher Grund“ für eine Aufhebung kann insbesondere in einer erheblichen Überschreitung der vom Auftraggeber im Haushalt eingeplanten Kosten der Beschaffung liegen.
Zum Fall:
Eine Kommune hatte im Rahmen eines umfangreichen Bauvorhabens unter anderem die Energieversorgungstechnik im offenen Verfahren ausgeschrieben. Zuvor wurde durch das beauftragte Planungsbüro eine Schätzung der zu erwartenden Kosten erarbeitet. Die Kommune plante Haushaltsmittel entsprechend dieser Schätzung für die Beschaffung ein. Auf das Los gingen zwei Angebote ein, welche die Kostenschätzung um ca. 40 % bzw. ca. 73 % überstiegen. Die Kommune hob daraufhin die Ausschreibung unter Verweis auf § 17 EU Abs. 1 VOB/A auf. Sie beabsichtigte nach Aufhebung, die Beschaffung in einem neuen offenen Verfahren mit geändertem Loszuschnitt weiter zu verfolgen.
In dem vom Bestbieter beantragten Vergabenachprüfungsverfahren hat die Vergabekammer Lüneburg festgestellt, dass die Aufhebung nicht auf die von der Kommune angegebenen Aufhebungsgründe gestützt werden konnte. Zu dieser Einschätzung kam die Vergabekammer, weil die Kommune nicht nachweisen konnte, dass die im Vorfeld der Ausschreibung erstellte Kostenschätzung „vertretbar“ – sprich: methodisch richtig und nachvollziehbar – war.
Trotzdem sei die Kommune zur Aufhebung der Ausschreibung berechtigt gewesen. Denn sie habe im Nachprüfungsverfahren darlegen können, dass der von ihr eingeplante Haushaltsansatz selbst bei Bezuschlagung des günstigsten Angebotes erheblich überschritten würde. Nach einer Entscheidung der 1. Vergabekammer des Bundes (Beschluss vom 11.06.2008, VK1-63/08) sei die Feststellung, dass keine ausreichenden Haushaltsmittel (mehr) zur Verfügung stünden, ein die Aufhebung sachlich rechtfertigender Grund. Dies folge auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, derzufolge es ein Zweck des Vergaberechts sei, Beschaffungen unter Beachtung des Gebots sparsamer Wirtschaftsführung zu angemessenen Preisen zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 05.11.2002, X ZR 232/00).
Die Entscheidung der Vergabekammer Lüneburg erweitert die praktischen Entscheidungsmöglichkeiten öffentlicher Auftraggeber – jedenfalls in Niedersachsen – erheblich. Ergibt ein Abgleich der Angebotspreise mit dem Haushaltsansatz eine ganz erhebliche Überschreitung und kann nachvollziehbar dargelegt werden, dass weitere Haushaltsmittel nicht zur Verfügung stehen, ist die Aufhebung des Vergabeverfahrens grundsätzlich möglich.
Für nähere Informationen und rechtliche Beratung steht Ihnen Rechtsanwalt Florian Bretzel (Tel. +49 511 59097560, E-Mail bretzel@kanzlei-dagefoerde.de) gerne zur Verfügung.